Interview mit Patricia Gehrlein, Program Lead Circular Economy bei Siemens Healthineers
Was ist aus Ihrer Sicht der Hauptreiber der Kreislaufwirtschaft?
Es sind mehrere Treiber. Zum einen ist es die Materialverfügbarkeit. Uns stehen auf diesem Planeten nur endliche Ressourcen zu Verfügung, die zunehmend knapp werden, je länger man in der linearen Wirtschaft arbeitet. Wenn bestimmte Stoffe aus unterschiedlichen Branchen, wie zum Beispiel bei Batterien, in erheblichem Ausmaß benötigt werden, können diese wiederum in anderen Branchen knapp werden. Demzufolge muss man sich der Thematik annehmen: Welche Materialien haben wir in unseren Geräten und wie können diese substituiert werden bzw. wie können wir dafür sorgen, dass die Ressourcen nicht verschwinden?
Andererseits sind auch die Materialpreise zunehmend wichtig: Je knapper das Material wird, desto stärker wird der Preis ansteigen. Siemens Healthineers blieb über die gesamte Pandemie hinweg lieferfähig und war nicht von langen Verzögerungen der Lieferzeiten betroffen. Genau das ist auch ein Ziel für die Zukunft: Die Verfügbarkeit wichtiger Bauteile abzusichern, um weiterhin lieferfähig zu bleiben, damit nicht wie in anderen Branchen Produkte im Lager stehen, weil einzelne Komponenten fehlen.
Auch Emissionen und Energieverbrauch sind zwei weitere Treiber, denn diese können durch eine gute Kreislaufwirtschaft ebenfalls verringert werden.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Datenverfügbarkeit, auch über Lieferketten hinweg. Die zunehmende Digitalisierung schafft kontinuierlich bessere Voraussetzung, Zirkularität effizient und gewinnbringend einzusetzen: Man muss in der Kreislaufwirtschaft in jedem Fall zusammenarbeiten, um Kreisläufe zu schließen. Das gelingt nicht als einzelner Akteur. Um Stoffströme bzw. den Lebenszyklus der Produkte besser zu verstehen, zu steuern und zu optimieren, werden zum Beispiel Daten von Lieferanten benötigt. Diese Chancen nicht zu nutzen, wird langfristig auch Wettbewerbsnachteile zur Folge haben.
Welche Daten sind das?
Um zum Beispiel den gesamten CO2-Fußabdruck der Firma oder eines Produktes zu berechnen sind Daten in Bezug auf die eingesetzten Materialien, wie zum Beispiel das Gewicht, der Energieverbrauch und der CO2-Fußabdruck, dessen, was hergestellt wurde, notwendig. Diese Daten spielen auch für die Circular Economy eine Rolle – denn nur durch eine gesteigerte Transparenz über die Produkte und ihre Zusammensetzung können alle Akteure entlang des Lebenszyklus ihren Anteil zur Steigerung der Zirkularität beitragen. An vielen Stellen wird noch unterschätzt, wie wichtig diese Daten sind. Es ist noch nicht ins Bewusstsein aller Akteure durchgedrungen, welche zahlreichen Anforderungen im Bereich des non-financial Reporting in der EU noch auf uns zukommen werden. Aktuell hat die EU die sogenannte Corporate Sustainability Reporting Directive verabschiedet und muss jetzt in nationales Recht umgesetzt werden. Das bedeutet, dass deutlich mehr Unternehmen als zuvor verpflichtet sind zu nicht-finanziellen Themen – darunter fallen die Nachhaltigkeits-Themen – standardisiert zu berichten. Es geht um die Verfügbarkeit von Daten, die so lieferkettenübergreifend noch nicht erhoben wurden. Eine große Herausforderung hierbei ist, dass es hier an Standardisierung fehlt und die Ergebnisse somit nicht vergleichbar sind. In Reportings für Investoren und andere Zielgruppen soll das Ergebnis transparent und vergleichbar gemacht werden.
Welchen Mehrwert kann eine gut gestaltete Kreislaufwirtschaft bieten?
Kreislaufwirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zu einem Mehr an Nachhaltigkeit beitragen, aber es geht bei der Kreislaufwirtschaft, um viel mehr: die Verfügbarkeit, die Verringerung und der Einsatz von Materialien. Also kurz gesagt um die „R-Strategien“ der Circular Economy: Veränderungen im Konsum, Produkte wieder verwenden, reparieren, aufarbeiten, wiederherstellen oder umfunktionieren. Aber man kann sie auch so designen und herstellen, dass sie von vornherein weniger Material verbrauchen, ihre gesamte Funktion neu denken und ihren Einsatz selbst überdenken. Erst im letzten Schritt stehen das Recycling und die Rückgewinnung von Materialien. Dieses Umdenken braucht seine Zeit.
Muss sich dieses Umdenken auch regulatorisch auswirken?
Regulatorisch muss sich in manchen Ländern noch einiges verbessern. Viele Gesetze und Produktanforderungen oder Registrierungsanforderungen für Medizinprodukte, die grundsätzlich ja hoch reguliert sind, aber auch Importanforderungen in anderen Ländern sind zu überarbeiten, um Zirkularität auch wirtschaftlich noch attraktiver zu machen. Es gibt tatsächlich Länder, in die eine Einfuhr gebrauchter Medizinprodukte verboten ist. Auch die Erstattung von aufgearbeiteten Geräten unterscheidet sich in manchen Ländern noch von Neuprodukten. Es gibt noch keine oder nur wenige Regeln und Gesetze, die die Zirkularität komplett unterstützen. Also zum Beispiel eine erhöhte Erstattung für den Einsatz von Mehrwegprodukten oder wiederaufbereiteten Produkten. Es gilt also, die existierende Regulatorik mit einem kritischen Blick zu überprüfen, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gemeinsam zu erreichen.
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Transformation der Medizintechnik – Von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft
Impulsvorträge & Diskussion
Begrüßung, Stefanie Brauer, Forum MedTech Pharma e.V.
Einblicke aus der Klinik, Dr. Irena Schwarzer, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Einblicke aus dem Beschaffungswesen, Christoph Pelizaeus, P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG
Einblicke von KMU, Dr. Stefanie Dukorn, numares AG
Einblicke aus Großunternehmen, Patricia Gehrlein, Siemens Healthineers
Einblicke aus der Wissenschaft, Dr. Andreas Hamper, Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS
Podiumsdiskussion


